31.07.03 - st. jakobi - 18 Uhr
Ausstellungseröffnung zum Festakt 700 Jahre St. Jakobi Stralsund
   
Krachtgever (1994 - 97) Peter Bosch und Simone Simons (NL/E)
2,5 x 12 m Klangmaschine - Installation

Die wechselseitige Beziehung von Chaos und Ordnungsfaktoren ist ein Thema, das sich in den meisten Installationen von Bosch und Simons wieder findet und ihren Gebrauch von Technologie maßgeblich bestimmt. Ihre computergesteuerten Klangmaschinen sind für Aug und Ohr, sind Konzert und Ausstellung zugleich. Im Zuge unserer Arbeit zum Thema »Resonanzstimulation durch mechanische Vibration« lag unser Hauptinteresse nicht in der Verstärkung bloß einer Frequenz, sondern in der Erzeugung eines komplexen Systems, innerhalb dessen unterschiedlichste Frequenzen einander gegenseitig beeinflussen. Dies erzeugt ein instabiles Gleichgewicht, das schon durch die geringste Veränderung hinreichend gestört werden konnte, um ein unvorhersehbares Ergebnis zu erzielen. Die erzwungenen und die natürlichen Frequenzen der Objekte sind so aufeinander abgestimmt, dass die von der Installation erzeugten Bewegungen und Klänge sich fast unmerklich von Ordnung und Chaos und umgekehrt verändern können. Die Rolle des Computers dabei ist fast paradox: Obwohl der Rechner die Mechanik steuert (Elektromotoren), kann er nur teilweise das physikalische Ergebnis seiner Entscheidungen vorhersehen. Neben instabilem Gleichgewicht, neben Ordnung und Chaos ist Klang ein weiterer Faktor: Die schiere Macht des Klanges und die Manifestation der Existenz von Klang (Musik) ist ein integraler Bestandteil aller unserer Installationen. Das Medium Klang gibt uns Macht über einen bestimmten Raum, es erfüllt diesen Raum: Der Krachtgever erlaubt uns, Vibrationen zu erzeugen, mit denen wir den Raum füllen - und Klangwellen sind letztendlich auch nur Schwingungen.

Der Krachtgever (»Kraftgeber«) besteht aus mindestens sieben, maximal vierzehn je 2,5 Meter hohen Stapeln von jeweils vier hölzernen Kisten, mit einer Gesamtbreite von sechs bis zwölf Metern. Die Kisten werden untereinander horizontal und vertikal mit Metallfedern verbunden. An jedem Stapel wird ein Schwingungsmotor angebracht. Diese Motoren werden durch einen Computer gesteuert, der durch unterschiedliche Rotationsgeschwindigkeit der Motoren interessante Interferenzen zwischen den generierten Schwingungen und den Resonanzfrequenzen der Kisten hervorrufen kann. Je nach der gewählten Motor- und Frequenzkombination kann jede einzelne der Kisten in Schwingungen versetzt werden, es kann aber auch ein gesamter Stapel in periodische Bewegung gesetzt werden. Es ist auch möglich, Kombinationen von Schwingungen simultan an verschiedenen Positionen
des Gesamtsystems auftreten zu lassen. Jede Kiste enthält unterschiedliche Materialien. Diese »Rasseln« aus unterschiedlichem Material, von verschiedenem Gewicht und Klang haben wiederum ihre eigenen Resonanzcharakteristiken. Durch einen Schwingungsmotor stimuliert, produzieren die Schwingungen all dieser Elemente - Federn, Kisten, »Rasseln« in den Kisten usw. - ein extrem komplexes Ganzes. Die außerordentlich komplexen physikalischen Eigenschaften der Konstruktion selbst garantieren noch unvorhersehbare Ergebnisse auf der Mikroebene, und hier wird die Zukunft auch von der Vergangenheit mitbestimmt: Eine starke Resonanz einer Box (oder mehrerer Boxen) endet nicht abrupt, sondern schwingt nach und beeinflusst daher das Ergebnis der folgenden Phrase. Diese bedeutet, dass dieselbe Phrase je nach der vorhergehenden anders klingt. Darüber hinaus wird bei jeder Performance die Installation den räumlichen und akustischen Gegebenheiten entsprechend verändert.

Text: Bosch & Simons, Übersetzung: Helmut Einfalt. Aus: "Cyberarts98", Hrsg: Hannes Leopoldseder, Christine Schöpf, Springer Verlag Wien, New York, 1998, pp. 200-203

Peter Bosch (*1958) studierte an der Universität von Leiden und Amsterdam (1976-83) Psychologie und Sonologie am Königlichen Konservatorium in Den Haag (1986-87).
> http://www.boschsimons.com

Simone Simons (*1961) studierte in der audio-visuellen Abteilung der Gerrit Rietveld Kunstakademie in Amsterdam (1980-85). Seit Beginn ihrer Zusammenarbeit 1985 haben sich Bosch & Simons mit einer ganzen Reihe von Aktivitäten wie Performances, Konzerte und Theaterproduktionen beschäftigt. In den letzten zehn Jahren haben sie sich hingegen besonders auf die Entwicklung »musikalischer Maschinen« konzentriert, die, durch das Balancieren am Rand von Ordnung und Chaos, bestimmte kreative Kräfte besitzen. Ihre Arbeiten wurden gezeigt u.a. im ZKM Karlsruhe (1991 und 93), auf ARTEC 95, Nagoya und auf der ISEA 95, 96, 2000 und 2002 (Montréal, Rotterdam, Paris, Nagoya). Auf der Prix Ars Electronica 1998 in Linz erhielten sie eine Goldene Nica in der Sektion Computermusik für die Krachtgever-Installation. Beim 29. Wettkampf der elektroakustischen Musik und Klangkunst in Bourges 2002 erhielt ihre Arbeit »Cantan un Huevo« eine besondere Erwähnung in der Kategorie »work for installation or environment«.

Realisiert mit freundlicher Unterstützung:
Königlich Niederländische Botschaft und Institut Valencia de la Musica


   
31.07.03 - garage- 21 Uhr
reformat c(lub) I
reformat c(lub) stellt an drei Abenden des Festivals unterschiedliche Ansätze von »club« vor
   
1. POIL (Kiel)
Wenn aus bayerischen Jodlern die Basslinie des nächsten Tracks entsteht oder aus wildem Vogelgezwitscher die nächste Melodie... Poil macht elektronische Musik aus analogem Material. Radiomitschnitte, Klangfetzen, selbsterdachte Hörspiele, Sprachnotizen - er benutz ausschließlich auf Flohmärkten gefundenes Audiomaterial, welches für seine eigene Songs dekonstruiert und neu kontextualiesiert wird.


2. Andrey Kiritchenko (UKR)
»If the Wall of Berlin had not fell down, and if the Cold War was still going on, somebody would have to hire some spy and bring Andrey Kiritchenko out of Ukraine, so that he can spread his music more easily.« (recycle your ears)
1991 - start a rock band, 1996 - start weekly radio show "free zone", 1997 - start wekly tv show "free zone", 1998 - start working as dj in Deep club / Kharkov, start ambient techno project "Sidhartha", 1999 - start Polyvox Populi supporting circle, 2000 - start "Nihil Est eXcellence", 2001 - start labeling music under Nexsound, start producing Alphonse de Montfroyd, start making microwave music under own name. 2002 - best Ambient artist by DasMusik, collaborations with Kim Cascone, Jonas
Lindgren, Jeff Surak, Francisco Lopez, Kotra, Moglass, Mantikhora. 2003 - Solokonzert beim Festival garage.
> http://www.nexsound.org



3. EVA BE (sonarkollektiv) & mcc /microfish (different drummer,sonarkollektiv)
gitarre: Boris m. (micatone/sonarkollektiv) (Berlin)
...reggae, ragga, danchall, downbeat...